Predigtgedanken
"Deus caritas est"
1. Es ist im hohen Maße der russischen Literatur vorbehalten geblieben, Größe und Elend des Menschen gleichermaßen eindrücklich zu beschreiben:
Dostojewski z. B. zeichnet uns eine ganze Reihe von Figuren, die in einer geradezu mystischen Gottesbeziehung stehen und vorleben, was es heißt, Gott zu lieben und zugleich in Spielsucht und Trinksucht gefangen zu sein, ja nicht selten daran zugrunde zu gehen.
2. Diese Spannung im Menschen nimmt auch der 1. Johannes-Brief deutlich wahr. Er fasst sie in das Wortpaar "lieben - hassen!" Darin sind Glanz und Elend des Menschen beschlossen. Eine Aussage dieses Johannesbriefes soll näher bedacht werden:
3. "Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt - denn Gott ist die Liebe." In der menschlichen Hoffnung, "Gott zu erkennen" verbirgt sich eine Sehnsucht und eine Falle:
3.1. Die Sehnsucht ist in der unendlich oft gestellten Frage verborgen: "Gott, wer bist du?". Man muss nur wieder einmal Tagebücher von Fridolin Stier zur Hand nehmen, um der ganzen Wucht dieser Fragen ausgesetzt zu sein! Mit welch großen und kritischen Augen hat Fridolin Stier auf diese Welt geschaut...und ist an ihrer Realität doch fast zerbrochen. Bis zum letzten Atemzug hat er sich damit herum geschlagen zu suchen und zu fragen: "Gott wer bist du?"
Auch Jesus ist in seiner Person mit dieser Frage konfrontiert worden: "Wer bist du?" Jene, die mit ihm unterwegs waren, spürten, dass er ein Mensch war, der menschlich wie kein anderer Zuwendung lebte...und der doch auch fremd blieb, wenn er die Nächte mit sich allein und in der Gemeinschaft mit Gott durchgebetet hat und danach dinge verhieß, die des Menschen Möglichkeiten übersteigen. Diese verunsichernde doppelte Erfahrung der Nähe und zugleich der Ferne, wie sie uns in Jesus begegnet, finde ich treffsicher dargestellt im Text vom "Seewandler Jesu": Da kommt er auf die Jünger zu, um zu helfen...und wird doch zugleich al der ganz andere erfahren, der fremde, der gespenstische.
Wenn wir also die Sehnsuchtsfrage stellen, dann ist sie deshalb so schwer zu beantworten, weil wir für eine gültige Antwort das Wesen des Angefragten kennen müssten - das was ihn zu dem macht, der er ist; wir müssen den Kern der Persönlichkeit entdecken, der allem anderen, was dieser Mensch tut und redet, vorausgeht. Aber wer würde sich schon trauen, diesen Kern auch nur für sich selbst zu bennenen? Wer könnte sich erst recht trauen, dieses innerste Wesen an Gott zu beschreiben?
So lebt unsere Sehnsucht weiter. Wir suchen weiter, Gott zu erkennen, um ihn ganz und gar zu wissen. Erlöst werden wir von dieser Suche erst dann, wenn wir IHN schauen von Angesicht zu Angesicht.
3.2. Wir haben gesagt, in der Rede vom Erkennen Gottes liegt sowohl unsere Sehnsucht als auch eine Falle verborgen:
Theologen besitzen viele Bücher, von denen nicht wenige suggerieren, Aussage zu liefern, wer dieser Gott ist. Aber wer die Antwort darauf wirklich schwarz auf weiß lesen will, läuft in die Falle.
Die bekannte Legende aus dem Leben des hl. Augustinus, in der ihm die Ausschöpfbarkeit des Geheimnisses der Dreieinigkeit abgesprochen wird un die so schön im Nauburger Dom dargestellt ist, erinnert uns daran, wo unsere Grenzen liegen. Wer also sich selber gegenüber und vor anderen behauptet, Gott über den rationalen Weg erkennbar zu machen, legt eine Falle.
3. 3. Und doch behauptet der erste Johannesbrief "Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt.".Dreht man diesen Satz um, gibt es also doch ein Erkennen Gottes: "Wer liebt, hat Gott erkannt!" Dieses Erkennen aber hat nichts mehr mit dem Verstand zu tun: Es ist so unbegreifbar, wie das Leben.
Immer wieder wird mit gutem Grund dafür Erich Fried zitiert: " Es ist, was es ist, sagt die Liebe!" Der Satz klingt wie eine Kapitulation; in der doch ein Sieg steckt. Wir verstehen nicht, was hier vor sich geht und begreifen uns am Ende doch als Beschenkte. Wir können nichts erklären und sind doch glücklich. Allerdings: was dahinter liegt, ist kein Erkennen nach den Maßstäben der Aufklärung: nicht durch Analyse, Falsifikation oder logische Schlüsse.
Was ist das dann für ein Erkennen, dieses Erkennen, weil man liebt?
Max Frisch hat in seinen Tagebüchern darauf hingewiesen, dass dieses Erkennen vor allem eines verlangt: nicht zu behaupten, man hätte den anderen erkannt! Denn genau diese Aussage würde den Anspruch erheben: Jetzt weiß ich wer und wie du bist! Kein Mensch aber "ist" sondern er "wird", erscheint jetzt so und im nächsten Augenblick anders. Er steckt voller Überraschungen, eben voller Leben. Wer vom anderen sagt, ich weiß, wer und wie du bist, spricht ihm diese Veränderungsfähigkeit ab. D. h. er macht ihn zum fixen Bild ohne Leben, zu einem Götzenbild, einem toten Bild. Erkennen, weil man liebt, weiß von anderen nicht mehr zu sagen als nur: du lebst! Was daraus folgt, ist reines Abenteuer; ein sich einlassen auf das Ungeahnte.
So können wir auch Gott "erkennen", meint der Johannes-Brief: als reines Abenteuer; als ein Sich-Einlassen auf das Ungeahnte. Und weil Gott nicht manchmal liebt, so zwischendurch einmal ( und uns dann als voller Leben erscheint), sondern weil er ohne Unterbrechung liebt, der ganz und gar Liebe ist, hört dieses Abenteuer nie auf; es sei denn, wir würden ihm eines Tages kein Leben mehr zugestehen, ihn fixieren auf ein Bild, das mir gerade passt, ihn töten und zum Götzenbild machen. Das aber ist (nach der Bibel) die eigentliche Sünde. Solange wir diese eigentliche Sünde nicht tun, werden wir IHN "erkennen" und das Abenteuer genießen , uns auf ihn einzulassen, alle Tage neu.
Ich wünsche Ihnen allen den Mut zu diesem Abenteuer, Gott zu erkennen, wenn wir lieben!
Domkapitular Prälat Peter C. Manz
Diözean-Caritasdirektor