Eins stimmt aber auf jeden Fall: Für viele drogensüchtige Menschen ist der Ort auf jeden Fall ein „ganz wichtiger Ort“ geworden. „Hier zu sein, tut mir gut, weil ich hier Leute antreffe, die sich für mich interessieren.“ In der Brennergasse 15 ist der Drogenkontaktladen Talk Inn der Caritas.
Der Mann, der sich hier angenommen weiß, ist heute 42 Jahre alt. Er blickt auf ein Leben zurück, das wie bei jedem anderen Menschen auch davon geprägt war, Anerkennung bei seinen Freunden zu finden. „In meiner Klicke waren Ältere dabei. Die nahmen das ‚Zeugs‘, um gut drauf zu sein. Anfangs hielten sie mich davon fern“, erzählt er. „Aber irgendwann hat mein damaliges idiotisches Gehirn gesiegt. Ich wollte das Zeugs auch nehmen.“ Das „Zeugs“ für den damaligen 15-jährigen war Heroin, Kokain, Speed, „alles, was man so in die Finger bekommt“. Er wurde also wie viele andere auch „polytoxikoman“, wie die Fachleute es bezeichnen. Verschiedene Suchtstoffe und Drogen werden nebeneinander konsumiert. Derzeit unterzieht er sich einer Substitutionsbehandlung. D. h. er erhält unter ärztlicher Aufsicht Drogenersatzstoffe.
Maria Schmelz, Caren Arendt und Gerhard Zech kennen diese Drogenbiographien. Die drei Diplom-Sozialpädagogen bzw. Sozialarbeiter, die im Talk Inn für die Caritas arbeiten, kennen „Gott sei Dank“ eine Drogenabhängigkeit nicht aus eigener Erfahrung. „Aber“, so der 42-jährige Mann, „man kann ihnen nichts auftischen, wir müssen hier auch nicht lügen und uns hinter irgendetwas verstecken.“
Talk Inn ist in der Drogenszene in Kempten bekannt. Dort weiß man, „da kann man hingehen, ohne etwas befürchten zu müssen“. Die Szene nennt der 42-jährige Mann „draußen“. Dort habe er gehört, dass sie ihm hier helfen können. In den Drogenkontaktladen kann man „einfach so hereinschneien“, wie es der Caritas-Mitarbeiter Zech ausdrückt. „Man muss sich auch nicht vorstellen. Man kann hier Kaffee oder Tee trinken, die Tageszeitung lesen oder Billard spielen“, ergänzt Schmelz. „Jeder ist willkommen.“ Ein Wort, das zu gelten scheint: „Hier verzog keiner das Gesicht, als ich damals hierher kam“, so der 42-jährige.
Wenn der Besucher will, steht eine Beraterin bzw. ein Berater bereit. Deren Devise ist eindeutig: „Jeder ist bei uns willkommen. Wir nehmen jeden an, wie sie oder er ist. Aber jeder bekommt auch von uns eine ehrliche Antwort, wenn man uns fragt.“ „Verbindlichkeit“ gegenüber jeder Person, das prägt die Arbeit im Talk Inn.
Diese Haltung ihnen gegenüber schätzen die Drogenabhängigen. Sie haben viele Enttäuschungen erlebt. „Hier“, so der 42-jährige, „werde ich nicht auf mein Suchtproblem reduziert.“ Zech und seine beiden Kolleginnen liegt die ganze Lebensgeschichte der Talk-Inn-Besucher am Herzen. „Man wird ja nicht auf einen Schlag drogenabhängig“, sagt Zech. Oft beginne es in einer Klicke. Dann kommt das Erlebnis dazu, mittels einer Droge „echt gut drauf zu sein“. Dieses Erlebnis wolle man dann immer häufiger am freien Wochenende haben. „Eltern und Angehörige bekommen deshalb lange nichts mit.“ „Bei mir hat es fünf Jahre gedauert, bis meine Eltern es merkten“, erzählt der 42-jährige. So brachte er viele Jahre sein Leben trotz seiner Abhängigkeit auf die Reihe. Er ist damit kein Einzelfall. Drogenabhängige verlieren über die Zeit mehr und mehr die Kontrolle über ihr Leben, verschulden sich, verlieren ihren Job, und „wenn alles weg ist“, auch den Kontakt zur eigenen Familie und den Angehörigen.
Nichts klappt mehr, man bringt nichts mehr auf die Reihe, zieht sich zurück, weil man sich missverstanden fühlt und keiner einem in den praktischen Fragen des Lebens hilft, weil jeder dem suchtkranken Menschen nur seine Drogen vorhält. Bei dem 42-jährigen war das früher so. Er vergaß schlichtweg seinen Antrag auf Hartz-IV zu stellen. Das Talk-Inn-Team half ihm beim Ausfüllen und beim anschließenden Behördengang. „Das hat mir sehr geholfen.“ Schmelz hatte zuvor beim Jobcenter angerufen und wichtige Punkte vorab geklärt.
Talk Inn wurde so für den 42-jährigen Mann, der die ganze Zeit ruhig und ehrlich von sich erzählt, wie für rund 150 weitere abhängige Besucherinnen und Besucher im Alter zwischen 18 und 62 Jahren ein „Notanker“, aber nicht nur das, sondern auch wie „ein Stück Familie, wo ich mich wohl fühle“. Ohne das Angebot des Drogenkontaktladens der Caritas – und darin sind sich die Suchtberater Zech, Schmelz und Arendt einig, hätten viele aus der „Drogenszene“ in Kempten keinen Zugang zum Hilfesystem. Auch würde die Beschaffungskriminalität sicherlich zunehmen. Zech wird noch deutlicher: „Wir hatten in den letzten Jahren zu viele Drogentote, ohne unser Talk Inn wären es einige mehr gewesen.“ „Und ich würde sicher dazu gehören“, ergänzt der 42-jährige Mann leise.