"Für uns ist das ein besonderer Tag, ein Tag der Trauer und der Erinnerung an viele gute Begegnungen und Gespräche mit Betroffenen. Es ist aber auch ein Tag, an dem wir uns immer wieder fragen, ob man in unserer Gesellschaft genügend tut, um den Tod von drogenkonsumierenden bzw.-kranken Menschen verhindern zu können." Diözesan-Caritasdirektor Dr. Andreas Magg wünscht sich deshalb, eine offenere, auch regelmäßigere Auseinandersetzung mit dem Thema. "Es ist nicht so, dass die meisten aus Dummheit oder Verantwortungslosigkeit in die Drogenabhängigkeit hineinrutschen. Die meisten nehmen Drogen, weil sie Schlimmes aus ihrer Vergangenheit schlichtweg vergessen wollen."
Der Caritasverband für die Diözese Augsburg hat zwei Drogenkontaktläden, einen in Donauwörth und
einen in Kempten. Den MitarbeiterInnen des Drogenkontaktladens "Talk Inn" in Kempten ist der Gedenktag der Drogentoten nicht nur wichtig. "Er schmerzt auch", sagt Gerhard Zech, einer der Mitarbeiter. "Es macht uns alle hier traurig, wenn wir hören, dass ein Klient von uns gestorben ist." Das war in diesem Jahr schon mehr als einmal der Fall. Man kennt sich persönlich. Die Gespräche waren oft sehr intensiv. Man wusste um die Probleme, die die Menschen in die Drogenabhängigkeit trieb.
"Wer sagt, die sind selber schuld, der hat keine Ahnung", betont Zech. "Viele unserer Klienten nahmen und nehmen Drogen aus einem ganz einfachen Grund: Sie wollen vergessen und ihre Gefühle nicht mehr spüren. Und sie können es nur, wenn sie Drogen oder andere Betäubungsmittel nehmen." Der Grund: Viele der Drogenabhängigen leiden an Traumata und das schon seit ihrer Kindheit. Sie wurden missbraucht, vergewaltigt, manche kommen aus "absolut katastrophalen Familienverhältnissen" und blicken auf eine schwierige Kindheit zurück.
"Das heißt", unterstreicht die Sozialpädagogin Maria Schmelz, "dass die Wirkung der Droge als "Versuch einer Selbstmedikation" beabsichtigt ist." Im Drogenkontaktladen setzt man deshalb alles daran, betroffene Menschen nicht nur gut zu beraten, sondern ihnen die geschuldete Mitmenschlichkeit, Achtung und den Respekt spüren zu lassen.
Die MitarbeiterInnen stören sich nicht nur an so manchem Vorurteil gegenüber drogengebrauchenden Menschen. Es ärgert sie auch, dass die Gesellschaft wenig davon erfährt, wenn ein drogenabhängiger Mensch stirbt. Das geschehe zwar in einzelnen Fällen, aber eigentlich immer nur dann, wenn eine Überdosis der Grund für den Tod war. Stirbt aber ein Drogenabhängiger in einem Alter zum Beispiel von 45 Jahren an einer Krankheit, die nur deshalb zum Tode führte, weil dieser Mensch seit über 20 Jahren Drogen und vielleicht auch Alkohol konsumiert und dadurch seinen Körper stark geschädigt hat, "dann wird dieser Mensch nicht unbedingt als Drogentoter gezählt ", so der Sozialpädagoge Zech.
Im April ist ein Klient des Kontaktladens gestorben. Über 20 Jahre lang wurde er substituiert, d.h. er nahm in dieser Zeit keine illegalen Drogen mehr. Dennoch war er körperlich so geschwächt, dass er an den Folgen einer Lungenkrankheit verstarb. Ein anderer Mann, ebenfalls Mitte 40, verstarb erst kürzlich. Hier verhielt es sich ähnlich. Oft handelt es sich um das Zusammenwirken verschiedener Faktoren: Die Langzeitfolgen des Konsums, die soziale Situation und körperliche und psychische Komorbidität bilden die eigentlichen Ursachen für den Tod.
Im Südschwäbischen Raum mussten 2016 16 Drogentodesfälle beklagt werden, davon allein in Kempten vier und im Landkreis Oberallgäu drei. Im ersten Halbjahr 2017 waren es im Bereich des Polizeipräsidium Schwaben Süd/West schon acht und die Zahlen nehmen eher zu. Ob alle Drogentoten erfasst sind, da sind sich Zech und seine Kolleginnen nicht sicher. Auf jeden Fall bilden die "klassischen Drogentoten", jung und an einer Überdosis verstorben, von denen man im Allgemeinen spricht, eher die Minderzahl der verstorbenen drogenabhängigen Menschen. Zwei Drittel der Drogentoten etwa sind zwischen 30 und 50 Jahre alt.
Auch in Zukunft wird es nicht möglich sein, alle drogenbedingten Todesfälle zu verhindern, da die Ursachen zu vielfältig sind. Darin sind die DrogenberaterInnen der Caritas in Kempten sicher. Sie wollen sich aber damit nicht abfinden, denn es gibt neben den bereits bestehenden präventiven Maßnahmen auch neue Hilfsangebote. Diese werden allerdings noch nicht überall genutzt bzw. sind noch nicht aus rechtlichen Gründen freigegeben. Dazu gehören Naloxon-Programme wie auch Konsumräume für Drogenabhängige.
Im Rahmen der inzwischen seit geraumer Zeit laufenden Programme wird KonsumentInnen das Medikament Naloxon abgegeben. Dieses Medikament kann in einer Akutsituation einem Menschen, der Opiate überdosiert eingenommen hat, das Leben retten. Hilfreich wären auch Konsumräume für Drogenabhängige. "Hier wäre geschultes Fachpersonal für sofortige Hilfe vor Ort und das Infektionsrisiko mit Hepatitis oder HIV kann durch die Vergabe sauberer Utensilien minimiert werden", so Schmelz. Auch wünschen sich die MitarbeiterInnen des Talk Inn die Ausweitung der Substitutionsprogramme. "Wir könnten viel besser helfen. Es geht doch um Menschen."