Kempten/Augsburg, 14.10.2013 (
pca
).
Menschen können einander verstehen, weil sie die gleiche Sprache sprechen und
Gesten wie auch Mimik richtig deuten können. Ein bloßes Kopfschütteln kann
ausreichen, um einen wartenden Autofahrer anzuzeigen, dass man nicht wegfährt
und den Parkplatz noch benötigt. Es gelingt, weil sie gelernt haben, aus der
Unmenge an Informationen und Sinneseindrücken das Richtige und Notwendige
herauszufiltern und in einen Sinnzusammenhang zu stellen. Menschen mit einer
Autismus-Spektrums-Störung (ASS) können das nicht.
Wie man dennoch gezielt die Kommunikation mit ihnen anstößt,
sie ausbaut und so ein zwischenmenschliches, auch aufeinander abgestimmtes
Handeln fördern kann, dafür gab der Fachtag Autismus der beiden
Kompetenzzentrum Schwaben-Süd in Kempten (Lebenshilfe) und Schwaben-Nord
(Caritas) vielfältige Anregungen und Antworten. Rund 200 betroffene Eltern und
Berater wie Fachleute waren dazu nach Kempten in das Kornhaus gekommen.
Wie wichtig es gerade ist, schon bei Kindern im Alter von
drei bis sechs Jahren mit ASS auf eine gezielte und auf das Kind abgestimmte
Kommunikation zu achten, machte die Logopädin und Klinische Lerntherapeutin
Maria
Lell
aus Holzkirchen in ihrem Vortrag sehr
deutlich. Jede Sprachentwicklung nehme ihren Anfang darin, dass die
„Abstimmungsmechanismen“ funktionieren, d.h. dass das Kind den Gesten und
Blicken der Eltern folgt, Wörter aufnimmt und dabei nicht nur die Wörter und
deren Sinnzusammenhänge erlernt, sondern auch dass es darauf angewiesen ist, um
sich selbst verständlich zu machen.
Kinder mit ASS können wegen genetischer Veränderungen im
Gehirn die auf sie einströmenden Sinnesreize nicht wie jeder andere Mensch
filtern und nach ihrer Wichtigkeit sortieren. „Sie haben keinen einzigen Kanal,
auf dem sie Informationen unverfälscht erhalten“, sagte
Lell
.
So richten sie ihre Aufmerksamkeit nicht auf das Gesicht und die Stimme anderer
Menschen wie sie ohnehin sich nicht gezielt auf einzelne, wichtige Teilaspekte
fokussieren bzw. konzentrieren können Dadurch erschließe sich für sie auch nur
sehr schwer der Sinn von Sprache und Kommunikation. Körpersprache und Mimik
sind für sie eine „Geheimsprache“, so
Lell
.
Entwicklungsschwierigkeiten und soziale
Auffälligkeiten seien die logische Folge.
Die Klinische Lerntherapeutin
Lell
,
selbst eine Mutter eines autistischen Kindes, beließ es nicht bei der
Erklärung, warum Menschen mit ASS solche Entwicklungsschwierigkeiten von
Kindheit an haben. Sie empfahl – wie alle übrigen Referenten übrigens auch –
dem jeweils eigenen Fokus des autistischen Kindes zu übernehmen. Wenn ein Kind
es liebe, gegen die Heizung zu klopfen, sollten das die Eltern auch tun und
dann diese Situation nutzen, mit besonders deutlichen Gesten und ausgeprägter
Sprachakzentuierung die Wahrnehmung des Kindes zu begleiten und dadurch den
gegenseitigen Kontakt – wenn auch begrenzt – aufzubauen.
Dass dies funktioniert, das beweist das Projekt, das seit
2011 unter der wissenschaftlichen Begleitung des Lehrstuhls für Pädagogik bei
geistiger Behinderung und Pädagogik bei Verhaltensstörung der
Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU)
am
Josefinum
der Katholischen Jugendfürsorge
in Augsburg bereits mehrfach durchgeführt wird. Eltern, die an diesem Projekt
teilnahmen, lernten in vier Monaten verschiedene Techniken, wie sie die
Kommunikation mit ihren autistischen Kindern anbahnen
und dabei gezielt Sprachlehrstrategien
einsetzen können. „Man muss bei jedem Kind genau hinschauen und mit dem Kind
dabei mitgehen, worauf es sich fokussiert“, erklärte Dr.
Karolin
Gruber vom Lehrstuhl der LMU. So kann es gelingen, soziale Kommunikation in
Sprache und Verhalten zueinander aufzubauen und damit typische autistische
Entwicklungsschwierigkeiten abzubauen.
„Durch die Wahrnehmungsstörung ist das Leben für einen
Autisten eine einzige Aneinanderreihung von Unvorhersehbarkeiten“, sagte die
Ergotherapeutin Sara
Hiebl
aus Gilching. Über- und
Fehlreaktionen seien die logische Folge. „Wenn die Mama schreit, das Kind aber
den Zusammenhang nicht versteht, sei ist das für ein Kind mit ASS ein Schock.“
Eine ergotherapeutische Behandlung könne dabei helfen, dem Kind den
funktionalen Zusammenhang von Handlung und Sprache verstehen zu lernen, dass
zum Beispiel ein „Bitte, mach‘ das“ eine konkrete Reaktion auslösen kann.
Autisten lebten wegen ihrer Wahrnehmungsstörung und dem
dadurch bedingten Chaos in der Wahrnehmung in ständiger Angst und Unsicherheit.
Darauf hob Markus
Kiwitt
vom Team Autismus in Mainz
ab. Umso wichtiger sei es, Sprache, Raum, Abläufe im Alltag und später in der
Arbeit genau zu strukturieren. Visualisierungen könnten dabei helfen. Wenn die
Busfahrt von zuhause in die Schule nicht klappt, weil es zur Verspätung kommt
und der Anschluss verpasst wird, „dann geben Sie eine klare Anweisung mit, wie
es dann zu handeln hat“, empfahl
Kiwitt
. Er stellte
deshalb das Konzept des „Treatment
Education
Autistic
and
related
Communication
handicapped
CHildren
“, kurz TEACCH, den Teilnehmern vor. Kern dieses
Konzeptes ist es, dem unstrukturierten und deshalb verstörenden
Wahrnehmungsprozess bei Menschen mit ASS klare, auch visualisierte
Strukturierungs- und Orientierungshilfen gegenüber zu stellen und damit den
Menschen mit ASS dadurch zu helfen, leichter durch ihren Alltag gehen zu
können.
Infos und Kontakt:
Kompetenzzentrum
Autismus
Schwaben - Nord
Träger: Caritasverband für die Diözese Augsburg e.V.
Auf dem Kreuz 41
86152 Augsburg
E-Mail
autismus@caritas-augsburg.de
Tel. 0821 3156-454
Kompetenzzentrum
Autismus
Schwaben – Süd
Träger: Lebenshilfe
Schwalbenweg 61
87439 Kempten
Tel. 0831 – 59110-851
E-Mail:
info@autismus-schwaben.de