Caritasverband will gesetzliche Neuregelung zur assistierten Sterbehilfe in eine breitere Diskussion bringen
Augsburg, 01.07.2021 (pca). Als das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Februar 2020 das Verbot der "geschäftsmäßigen Sterbehilfe" kippte, erregte dies kaum Aufsehen. Corona überlagerte alles. Dabei wirft der Umgang mit Sterbewilligen gravierende ethische und existentielle Fragen auf. Die Caritas will das Thema, zu dem im Bundestag inzwischen mehrere Gesetzesentwürfe vorliegen, in eine breite öffentliche Diskussion bringen. Es sei wichtig, so Augsburgs Diözesan- Caritasdirektor Dr. Andreas Magg, "das Thema zu diskutieren, und nicht zu tabuisieren."
Mit Fachleuten und Politikern aus der Region wurde dazu nun eine zweistündige digitale Podiumsdiskussion unter dem Titel "Assistierter Suizid - Ausdruck von Freiheit oder missachtete Menschenwürde?" durchgeführt. Eingeladen hatte das Ethikkomitee des Caritasverbandes für die Diözese Augsburg e. V..
"Vielen ist die ganze Dimension des Urteils des Bundesverfassungsgerichts gar nicht bewusst", so Dr. Ulrike Kostka, Direktorin des Caritasverbandes für das Erzbistum Berlin und außerplanmäßige Professorin für Moraltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster. "Es führt zu einem echten Paradigmenwechsel: Hatte Deutschland früher eine der strengsten Sterbehilferegelungen, so wäre sie momentan eine der weitesten weltweit." Denn der Spruch des BVerfG definiert das Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben als Ausdruck persönlicher Autonomie aller Menschen - eine Einschränkung auf unheilbar Kranke oder eine Altersbeschränkung sind dabei nicht vorgesehen. "Das bedeutet für uns als Caritas nun aber auch, dass nicht nur die klassischen Felder wie Pflege- und Hospizarbeit von solchen Fragen betroffen sein könnten, sondern auch Mitarbeitende in der Jugendhilfe beispielsweise, im ganzen psychosozialen Bereich, in der Arbeit mit Wohnungslosen und so weiter", so Professorin Kostka.
Ganz grundsätzlich stehe die Caritas vor der Frage, wie man mit der assistierten Sterbehilfe umgehe. "Die aktive Förderung und Begleitung des assistierten Suizids ist mit unserem Menschenbild nicht vereinbar", betonte Ulrike Kostka, "zugleich dürfen und sollten wir aber Menschen, die einen Sterbewunsch haben, nicht allein lassen. Und wir müssen Standards für den Umgang mit ihnen entwickeln, die den Caritas-Mitarbeitenden Sicherheit geben." Zwar sieht der Spruch des Gerichts vor, dass niemand dazu gezwungen werden könnte, Sterbehilfe leisten zu müssen. "Aber wir müssen unter anderem auch darauf hinwirken, dass assistierte Sterbehilfe nicht an die Versorgungsverträge von katholischen Hospizen und Palliativeinrichtungen gebunden ist", wies Kostka auf einen Aspekt der Gesetzesfindung hin.
Dass das Thema in seiner ganzen Dimension breit öffentlich und gründlich diskutiert werden muss, darin waren sich die an der Podiumsdiskussion beteiligten Politikerinnen und Politiker einig. Das kommende Gesetz müsse klare Regelungen für Beratungspflichten und Wartezeiten bei einem Wunsch nach assistierter Sterbehilfe vorsehen, so die Bundestagsabgeordneten Hansjörg Durz (CSU), Ulrike Bahr (SPD) und Landtagsabgeordnete Christina Haubrich (Bündnis 90/Die Grünen). Die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen im Landtag forderte einen Ausbau der präventiven Angebote: "Gerade die Corona-Pandemie zeigt uns doch, wie viele Menschen psychisch schwer unter Einsamkeit leiden." Eine völlige Herausnahme aus dem Gesetz will Ulrike Bahr für Minderjährige erreichen. "Eine assistierte Sterbehilfe für Jugendliche darf es nicht geben." Stattdessen müsse in Präventionsangebote investiert werden, die junge Menschen als sehr vulnerable Gruppe auch erreichen. Hansjörg Durz sieht die Entwicklung auch im Hinblick auf ältere Menschen mehr als kritisch: "Gerade wenn die Pflege im Alter zur finanziellen Last wird, könnte auf ältere oder pflegebedürftige Menschen Druck aufgebaut werden." Sterbehilfe aus finanziellen Gründen sei in jedem Fall zu verhindern, doch mache ihm das zunehmende Nützlichkeitsdenken in der Gesellschaft große Sorge.
Übereinstimmend wollen die Politiker dafür eintreten, das Beratungs- und Präventionsangebot auszubauen und die Sterbehilfe eng an solche Beratungspflichten zu koppeln. Die Podiumsdiskussion habe zudem gezeigt, dass die Problematik noch viel breiter debattiert werden muss. "Es kommen immer wieder Aspekte auf, die in die Gesetzesfindung einfließen müssen", betonte MdB Durz. Auch die Caritas müsse einen Weg finden, mit der neuen Ausgangslage umzugehen: "Wir alle müssen ganz viel dazu tun, damit Menschen überhaupt nicht in diese Situation kommen, wir müssen jetzt als Kirche und Caritas alles einbringen, was wir haben, um deutlich zu machen, wofür wir sind: Für das Leben!", so Professorin Ulrike Kostka.