Regens-Wagner-Einrichtungen in Memmingen und im Landkreis Unterallgäu ziehen Gewinn aus dem ACP-Projekt der Caritas
Die Regens-Wagner-Stiftungen beraten, begleiten und pflegen 600 Menschen mit psychischer und geistiger Behinderung und nach einem Schädel-Hirn-Trauma im Landkreis Memmingen-Unterallgäu. Über 100 von ihnen werden ambulant betreut, 250 haben stationäre Wohnplätze. Birgit Steinle, Gertrud Bliemert-Prestele, Regina Sproll und Erika Turan arbeiten für diese Menschen und sind Profis in ihrer Arbeit. Sie kennen vielerlei Herausforderungen, die das Leben mit einer Behinderung mit sich bringt.
Aus ihren zahlreichen Beratungsgesprächen und Begleitungen wissen sie, wie wichtig es ist, gut mit den Betroffenen kommunizieren zu können.
Doch dann kam das neue Gesetz § 132 g zur Gesundheitlichen Versorgungplanung im fünften Sozialgesetzbuch. Es sichert auch Menschen mit Behinderungen in stationären/teilstätionären Einrichtungen das Recht zu, über ihre persönliche Versorgungsplanung für ihre letzte Lebenszeit selbst entscheiden zu dürfen und dafür auch eine Beratung zu erhalten. "Und da haben wir schnell gemerkt, wir brauchen mehr Know-how", sagt Birgit Steinle. "Es geht ja um die Frage, was sich ein Mensch für seine letzte Lebensphase wünscht. Da geht es ans Eingemachte, auch um tiefe Ängste. Wie können wir das von Menschen herausfinden, die vielleicht gar nicht sprechen können?" So entschied sie sich mit ihrem Team an dem ACP (Advance Care Planning) -Projekt des Caritasverbandes für die Diözese Augsburg teilzunehmen.
Der katholische Wohlfahrtsverband hatte sehr früh die Herausforderung des Gesetzes verstanden. "Eine personenzentrierte Beratung auch von Menschen mit Behinderungen verlangt um vieles mehr als nur die Vorlage einer Patientenverfügung", unterstreicht Christine Fricke, die zusammen mit Susanna Tot das Projekt koordinierte. Das Projekt, das der Caritasverband in Augsburg vor drei Jahren startete, gründet auf zwei zentralen Säulen, auf der intensiven Schulung von Gesprächsbegleiter*innen für die Beratung selbst und auf der Implementierung, sprich der organischen Einbindung in die Einrichtung von der Alltagskultur bis hin zu buchhalterischen Verwaltungsfragen. Sproll und Turan, sowie Martin Röder und Katharina Schmid ließen sich zu Gesprächsbegleiter*innen ausbilden. Steinle und Bliemert-Prestele übernahmen die Verantwortung für die Implementierung.
Steinle bekräftigt: "Die Frage, wie jemand seine letzte Lebensphase gestaltet wissen will, ist wichtig für die persönliche Zukunftsplanung." Sie weiß sich als stellvertretende Gesamtleitung für das Angebot der Regens-Wagner-Stiftungen im Landkreis Memmingen Unterallgäu dafür verantwortlich. Gertrud Bliemert-Prestele, Leitung der Offenen Hilfen in Memmingen und im Landkreis, Regina Sproll von der Offenen Behindertenarbeit in Memmingen sowie Erika Turan, die Pflegedienstleitung für die den ambulanten Pflegedienst, sehen sich in der Pflicht, das Bundesteilhabegesetz auch im Hinblick auf die letzte Lebensplanung zu erfüllen. "Es verlangt eine personenzentrierte Beratung."
Sproll führt in der Offenen Behindertenarbeit viele Beratungen. Ihre Schlüsselfrage als Gesprächsbegleiterin ist schon immer, "wenn Du nicht mehr sprechen kannst, was sollen wir über Dich wissen, was ist Dir wichtig?" Menschen mit kognitiven Einschränkungen kennen die Wörter nicht oder sie können sie nicht aussprechen bzw. verstehen. "Wie kann ich dann erfahren, was er mag und was nicht, was ihn ausmacht?" Die Pflegedienstleitung Erika Turan gesteht, dass sie wie auch andere selbstverständlich bei Besuchen "viel miteinander redet". Aber letztlich, so ihre bisherige Erfahrung, traute man sich nicht, in die Tiefe zu gehen. "Ich hatte Angst vor dem, was ich auslösen könnte", gesteht sie.
Turan, die im Rahmen des Projektes die Ausbildung zur Gesprächsbegleiterin durchlief, geht seitdem anders in die Gespräche. Jetzt traut sie sich, wenn es sich ergibt oder gewünscht wird, nachzufragen und in die Tiefe zu gehen. Dabei stellt sie fest, dass Betroffene ihre Fragen sehr wertschätzen. "Es fragt mich endlich jemand", hat sie nicht nur einmal als Antwort erhalten.
Auch ihre Kollegin Sproll, ebenfalls Gesprächsbegleiterin, machte dieselbe Erfahrung. Ihr stellte sich aufgrund ihrer Beratungserfahrung die Herausforderung, wie man ein Gespräch auch methodisch für Menschen aufbereiten kann, die aufgrund einer Behinderung nicht sprechen können und kognitiv eingeschränkt sind. Deswegen haben Sproll und Turan einen Kasten vieler definierter Bilderkarten entwickelt, um so eine barrierefreie Kommunikation zu ermöglichen. Einmal hat Sproll ein Paar in der OBA-Beratung aufgesucht. Es stand eine wichtige, nicht ungefährliche Operation an. Beide wollten mit ihr reden. "Denn beide wollten für sich besprechen, was dem anderen wichtig am Leben ist, was der andere will." Früher hätte ihr die Frage z.B. nach der künstlichen Beatmung Bauchschmerzen bereitet. Heute geht sie diese Frage auch mit Hilfe ihrer Bilderkarten direkt an. Dabei macht sie wie Turan dieselbe Erfahrung. Die Betroffenen reagieren nicht irritiert, verängstigt. "Sie spüren für sich Sicherheit." Gleichzeitig gesteht sie: "Dank der Ausbildung bin ich mir darin selber sicherer geworden, diese Fragen zu stellen. Und indem ich diese Fragen stelle, vermittle ich Sicherheit."
Die beiden Leitungskräfte Steinle und Bliemert-Prestele führen nicht die Beratungsgespräche. Sie tragen aber die Verantwortung dafür, "ACP" ein fester Bestandteil des Angebotes für alle Klient*innen ist. Sie werben für das Angebot bei den Betroffenen, aber vor allem auch bei den Mitarbeitenden, welche für das Thema sensibilisiert werden müssen Steinle, Bliemert-Prestele, Sproll und Turan erlebten "AHA-Momente". "Das Thema Tod und Sterben, auch von uns immer ein Stückweit als Tabu-Thema behandelt, trat durch die Betroffenen selbst aus der Tabu-Zone heraus", betont Bliemert-Prestele.
Menschen mit Behinderungen, und das wurde Steinle einmal mehr bewusst, sind vertrauter mit dem endgültigen Weggang eines Menschen, als man hinlänglich meint. Sie leben in Wohn- oder Pflegegruppen "und so erleben sie, wie andere sterben", sagt Steinle. Auch wenn Gruppenleiter ihren Arbeitsplatz wechseln, "ist dies für sie manchmal wie ein Tod, weil dieser Mensch nicht mehr wiederkommt". Diese Bemerkung bringt Turan dazu, auf den eigentlichen Wert des Gesprächsangebotes zu verweisen. "Es geht nicht um die fünf Minuten am Schluss, es geht um das ganze Leben, was einem darin wichtig war, was man erlebt hat und was man sich wirklich wünscht".