Die Wünsche des Betreuten und ihre Grenzen
Das neue Betreuungsrecht hebt in §1821 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) die Relevanz der Selbstbestimmung der betreuten Person hervor. Dies wird auch als neue "Magna Charta" des Betreuungsrechts bezeichnet und erfüllt die Voraussetzungen des Art.12 UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), welcher die Rechts- und Handlungsfreiheit von Menschen mit Behinderungen betont.
Die in §1821 BGB genannten Regelungen sind als wegweisend zu betrachten und dienen dazu, die Selbstbestimmung der KlientInnen in der rechtlichen Betreuung zu stärken.
Das Betreuungsrecht ließ vor der Rechtsreform Unsicherheiten darüber zu, wann das Wohl der betreuten Person Vorrang vor deren Wünschen haben sollte. Nun räumt das neue Gesetz mit dieser Unklarheit auf und legt fest, dass die Wünsche grundsätzlich zu beachten sind.
An dieser Stelle gilt es zu betonen, dass die individuellen Wünsche selbst dann zu beachten sind, wenn die betreute Person selbst, beispielsweise aufgrund von Geschäftsunfähigkeit in der Folge von Krankheit oder Behinderung, nicht mehr zur freien Willensbildung fähig ist. In diesen Fällen obliegt den BetreuerInnen die Verantwortung den mutmaßlichen Willen in Erfahrung zu bringen.
Es gibt jedoch Ausnahmen, in denen BetreuerInnen einschreiten können, selbst wenn dies gegen den Willen ihrer Betreuten geschieht. In diesen Fällen spricht man von der Notwendigkeit einer "ersetzenden Entscheidung":
1. Erhebliche Selbstgefährdung: Wenn die Umsetzung der Wünsche die Person oder das Vermögen der betreuten Person erheblich gefährden würde, darf von den Wünschen abgewichen werden. Dies könnte beispielsweise der Fall sein, wenn die betreute Person finanzielle Mittel so verwendet werden, dass die Miete sowie laufende Rechnungen nicht mehr bezahlt werden könnten und in der Folge die Existenz gefährdet wäre. Ein weiteres einschlägiges Beispiel für die Grenzen der Wunschbefolgung ist der Wunsch des Betreuten sich zu verletzen oder zu suizidieren.
2. Unzumutbarkeit: Des Weiteren darf von den Wünschen der betreuten Person abgewichen werden, wenn es für den Betreuer unzumutbar wäre, den Wünschen nachzukommen, beispielsweise wenn dies übermäßigen Aufwand erfordern oder einen Gesetzesverstoß bedeuten würde. Folglich müssen keine ethisch oder rechtlich problematischen Handlungen durch BetreuerInnen vollzogen werden, weil die betreute Person dies wünscht.
Sollten BetreuerInnen jedoch ersetzende Entscheidungen treffen, die nicht durch eine dieser Ausnahmen notwendig wurde und entgegen der Präferenzen der betreuten Person ausfiel, kann diese Missachtung der Wünsche, neben möglichen rechtlichen Konsequenzen, - bedingt durch Frustration, Resignation und Enttäuschung der betreuten Person - die Vertrauensbeziehung zwischen Betreuer und betreuter Person langfristig erschüttern. Hierdurch kann schlussendlich auch die Akzeptanz der Betreuung an sich beeinträchtigt werden.
Die Betreuungsrechtsreform und insbesondere der in §1821 BGB geregelte Vorrang der Wünsche des Betreuten sind als große Chance einer menschenbezogenen und unterstützenden Betreuung zu betrachten. Die Gesetzesänderung kann jedoch auch eine Herausforderung für BetreuerInnen bedeuten, da sie eine gewissenhafte Abwägung der Wünsche der betreuten Person sowie der Verantwortung vor Gefährdung zu schützen erforderlich macht.
Tipp:
Wenn Sie dem Wunsch Ihres Betreuten oder Ihrer Betreuten entsprechen, obwohl dies negative Konsequenzen haben könnte, sollten Sie für sich dokumentieren, dass und wie Sie über negative Konsequenzen und Alternativen aufgeklärt haben.
Wenn Sie einem Wunsch nicht entsprechen können, informieren Sie das Gericht darüber.
Quellen:
- https://www.handelsblatt.com/finanzen/steuern-recht/steuern/neues-betreuungsrecht-wuensche-der-betreuten-stehen-im-mittelpunkt/28907734.html
- https://www.berufsbetreuung.de/der-bdb/aktuelles/grenzen-und-unzumutbarkeit-in-der-wunschbefolgung/
- BtPrax, Annette Loer (Juni 2023) Die Wünsche der Betreuten und die Grenzen der Wunschbefolgung
- BGB
- UN-Behindertenrechtskonvention