Die gerontopsychiatrische Versorgung wird immer wichtiger
Was kennzeichnet die gerontopsychiatrische Versorgung?
Mit dem demografischen Wandel gewinnt die gerontopsychiatrische Versorgung zunehmend an Bedeutung. Psychische Erkrankungen wie Depressionen, Demenz oder Angststörungen treten im höheren Lebensalter häufiger auf und erfordern spezielle Versorgungsstrukturen, die auf die besonderen Bedürfnisse älterer Menschen abgestimmt sind.
Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass es keine einheitlichen Strukturen für die gerontopsychiatrische Versorgung gibt. Sie findet vielmehr in unterschiedlichen Settings statt: ambulant, stationär und teilstationär. Eine der zentralen Herausforderungen liegt in der Koordination dieser vielfältigen Angebote und im Abbau von Versorgungsbrüchen. Erschwerend wirken sich der Fachkräftemangel sowie die unzureichende Spezialisierung in der Ausbildung aus.
Charakteristisch für die gerontopsychiatrische Versorgung ist die Multimorbidität, sprich das gleichzeitige Vorliegen mehrerer chronischer Erkrankungen. Diese zeichnen sich in der Regel durch einen langanhaltenden Verlauf und eine geringe Heilungsaussicht aus. Typische Beispiele sind Diabetes, Arthrose, Herzinsuffizienz, Depressionen oder Demenz. Häufig beeinflussen sich diese Erkrankungen gegenseitig, was sowohl die Diagnostik als auch die Therapie erheblich erschwert.
Hinzu kommt die sogenannte Polypharmazie - viele ältere Menschen nehmen gleichzeitig mehrere Medikamente ein, was das Risiko für Neben- und Wechselwirkungen deutlich erhöht. Ein typisches Beispiel für Multimorbidität wäre etwa eine 82-jährige Frau, die unter Bluthochdruck, Typ-2-Diabetes, Kniearthrose, leichter Demenz und einer depressiven Verstimmung leidet.
Ein weiteres zentrales Kennzeichen ist die personenzentrierte Pflege. Sie stellt hohe Anforderungen an Fachkräfte, insbesondere im Umgang mit kognitiven Einschränkungen, Desorientierung und herausforderndem Verhalten. Hier gewinnen spezifische Konzepte wie die Validation zunehmend an Bedeutung.
Validation ist eine kommunikationsorientierte Methode im Umgang mit desorientierten, meist an Demenz erkrankten Menschen. Ziel ist es nicht, deren Wahrnehmung zu korrigieren, sondern ihre Gefühle und subjektive Wirklichkeit wertzuschätzen und anzuerkennen. Dabei steht der emotionale Gehalt über der faktischen Richtigkeit. Jeder Mensch hat das Bedürfnis nach Wertschätzung, Zugehörigkeit und Sicherheit - daran knüpft die validierende Kommunikation an. Sie stärkt das Selbstwertgefühl der Betroffenen und kann herausforderndes Verhalten reduzieren. So wird etwa auf die Aussage einer dementen Bewohnerin - "Ich muss zu meiner Mutter nach Hause" - nicht mit einer rationalen Korrektur ("Ihre Mutter lebt doch nicht mehr") reagiert, sondern empathisch: "Sie vermissen Ihre Mutter sehr, nicht wahr?"
Abschließend lässt sich sagen: Die gerontopsychiatrische Versorgung ist durch ihre Komplexität und Interdisziplinarität geprägt. Sie erfordert spezialisierte Konzepte, die den psychischen, körperlichen und sozialen Bedürfnissen älterer Menschen gerecht werden. Der Ausbau integrierter Versorgungsstrukturen stellt dabei eine zentrale Zukunftsaufgabe dar.
Integrierte Versorgung bedeutet, dass verschiedene Akteure im Gesundheitswesen - Hausärzte, Fachärzte, Kliniken, Pflegeeinrichtungen, Therapeuten, Sozialdienste - eng und sektorenübergreifend zusammenarbeiten. So kann eine umfassende, koordinierte und effektive Betreuung sichergestellt werden. Ein exemplarischer Fall: Ein älterer Patient mit Demenz, Diabetes und depressiven Symptomen wird regelmäßig vom Hausarzt betreut, erhält Unterstützung durch einen Pflegedienst, kann bei Bedarf eine Tagesklinik besuchen und wird zusätzlich durch eine gerontopsychiatrische Fachberatung sowie den Sozialdienst begleitet.
Literaturverzeichnis (Auswahl)
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