Caritas-Berater*innen: "Wir müssen über Glücksspielsucht reden!" - Verschuldungen bis in 6-stelligen Bereich durch Kontrollverlust über sich selbst
Augsburg, 25.09.2025 (pca). Glücksspielsucht - nur ein Thema für Fachberatungsstellen? Hört man sich unter Passanten um, dann ja. Fragt man Fachleute, hört man Zahlen, die aufschrecken. Jede 20. Person in Deutschland weist ein problematisches Verhalten bei Glücksspielen bzw. eine Glücksspielsucht auf. Das sind rund 4,3 Millionen Menschen. Hinter dieser Zahl verbergen sich weitere harte Fakten. Durch wiederholte Dopamin-Ausschüttungen im Gehirn beim Spielen werden die Nerven neu und dauerhaft verschaltet. Das problematische oder suchtbedingte Glücksspielverhalten zerstört soziale Beziehungen. Glückspielsüchtige verschulden sich und damit auch ihre Partner*innen und Familien bis in den 6-stelligen Bereich hinein.
"Wir müssen das Thema deshalb aus gutem Grund mehr in das Bewusstsein der Öffentlichkeit bringen", betont Barbara Ballinger-Amtmann. Sie hat zusammen mit ihren Kollegen am bundesweiten Aktionstag Glücksspielsucht einen Info-Stadt vor der Augsburger City-Galerie aufgebaut.
Glücksspielsucht wird im internationalen Klassifizierungssystem von Krankheiten im "ICD 10" als Krankheit anerkannt. "Dennoch übersehen viele entsprechendes Verhalten und die Symptome", bedauert Benedikt Tichelmann, Berater bei der Suchtfachambulanz der Caritas. Es fange oft mit kleinen Summen an. Gerade bei Sportwetten habe man anfangs häufig auch Erfolg. Dann steigt die Risikobereitschaft, man investiert mehr Geld und meint dann fälschlicherweise den Verlust wieder hereinholen zu können. Betroffene bemerken dann nicht, "dass sie selbst zunehmend vom Spiel und dem Spielreiz vereinnahmt werden und über sich die Kontrolle verlieren." Tichelmann ergänzt: "Das Kernproblem ist, dass sie in einen Teufelskreis aus Verlusten und Gewinnen geraten. Sie versuchen, Verluste durch neue Einsätze zurückzugewinnen. Und das führt sie in eine Abwärtsspirale."
Dieses sogenannte "Chasing" verhindert oft die Annahme von Hilfsangeboten und damit den Ausstieg aus der Glücksspielsucht. Ballinger-Amtmann erzählt. "Es ist neben hoher Verschuldung und psychischer Belastung auch der Leidensdruck des Umfeldes, der Betroffene zu uns führt. Manche kommen auch widerwillig in unsere Beratung. Doch wir holen die Leute da ab, wo sie gerade stehen. Sie merken: Wir erheben keine Vorwürfe. Wir reden miteinander und schauen uns die Lage gemeinsam an."
Auch für das soziale Umfeld gibt es Unterstützung, sagen Tichelmann und Ballinger-Amtmann. Wer Fragen zu eigenen Beobachtungen bei einer ihm bekannten Person mache und sich um sie sorge, "der kann zu uns kommen. Wir klären gemeinsam, ob was wie getan werden könnte. Selbstverständlich immer unter dem Siegel der Verschwiegenheit."
Wichtig ist ihnen, dass das Thema Glücksspielsucht aus der Scham-Ecke herauskommt. "Wir müssen darüber reden! Glücksspielwetten, Glücksspiele zerren an den Menschen." Da muss noch viel geschehen, bis dies gelingen kann, wie ein Gespräch mit Ronja Walser, Studentin der Sozialen Arbeit an der Uni Augsburg, und Anna Goschenhofer, Studentin der Psychologie an der Universität in Ulm, deutlich macht. "Das Thema ist nicht präsent in unserer Bubble", gestehen sie. Doch ihr Denken ändert sich gerade. Sie machen ein Praktikum an der Suchtfachambulanz der Caritas in Augsburg. Sie fangen an, das zu sein, was der bundesweite Aktionstag Glücksspielsucht erreichen will: "Wir brauchen Botschafter für das Thema, Mitdenker, die bereit sind, das Thema dort anzusprechen, wo es nötig ist", betonen Ballinger-Amtmann und Tichelmann.
Info:
Symptome einer Glücksspielsucht bzw. pathologischen Spielens nach ICD-10 ("Gambling disorder"):
Psychische & Verhaltenssymptome
- Starkes Verlangen ("Craving") zu spielen - anhaltender innerer Drang, trotz Vorsätzen aufzuhören.
- Gedankliche Vereinnahmung - ständiges Denken an das Spielen, vergangene Gewinne oder nächste Gelegenheiten.
- Kontrollverlust - Unfähigkeit, die Häufigkeit oder Dauer des Spielens einzuschränken.
- Flucht ins Spielen - Nutzung des Glücksspiels, um Sorgen, Ängste oder depressive Stimmung zu überdecken.
- Lügen & Geheimhaltung - Verheimlichung des Ausmaßes des Spielens vor Familie und Freunden.
Finanzielle Symptome
- Zunehmender Geldeinsatz - um den "Kick" zu spüren, müssen immer höhere Beträge gesetzt werden.
- Spielen trotz Verschuldung - Aufnahme von Krediten, Schulden bei Angehörigen oder illegal beschafftes Geld.
- "Hinterherjagen" von Verlusten ("Chasing losses") - der Versuch, Verluste durch immer neue Spiele wettzumachen.
Soziale & körperliche Folgen
- Vernachlässigung von Familie, Beruf, Freundschaften zugunsten des Spielens.
- Konflikte, Trennungen, Arbeitsplatzverlust durch die Sucht.
- Innere Unruhe, Reizbarkeit, Schlafstörungen beim Versuch, nicht zu spielen.
- Gefahr von Depressionen, Angststörungen und Suizidgedanken als Begleiterscheinungen.
Schon wenn mehrere dieser Punkte regelmäßig auftreten, kann das auf eine Glücksspielsucht oder ein problematisches Spielverhalten hinweisen.