Augsburg, 07.10.2013 (
pca
). Was
ist Autismus? Fachbücher geben klare Antworten. Auch
Wikepedia
bietet umfängliche Informationen. Fachärzte, Psychologen und Berater – sie alle
können den Autismus beschreiben. Begriffe wie frühkindlicher Autismus,
High-Function-Autismus
, atypischer Autismus und
Asperger-Autismus werden genannt und erläutert. Und man weiß: es geht um eine
angeborene, unheilbare Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitungsstörung des
Gehirns, die einhergeht mit der Unfähigkeit, ohne einen Impuls von außen selbst
die Initiative zu ergreifen. Spätestens seit dem Kinofilm
Rainman
mit Dustin Hoffmann, der den an Autismus leidenden Raymond spielt, und mit Tom
Cruise als dessen ‚gesunden’ Bruder Charlie meint man, erahnen zu können, um
was es geht.
Doch dem ist nicht so. Das müssen leider die beiden Beraterinnen
Sonja Jacobs und Irene Schick vom Kompetenzzentrum Autismus – Schwaben Nord in
Augsburg immer wieder feststellen. Sie erzählen von einer Mutter, die 100 km
auf sich nimmt, um endlich mal mit jemandem sprechen zu können, der sie
versteht. Ihr fließen die Tränen, als sie von ihrem Kind erzählt, wie es ihm
und dann ihr ergeht.
Dem Kind sieht man es nicht an, dass es behindert, weil
autistisch ist. Ein hübscher Junge ist es. Er geht in eine inklusive Klasse.
Doch kommen andere Kinder ihm zu nahe, oder die Lehrerin möchte ihn gar
anfassen, dann schreit er und kann sich nicht mehr beruhigen. Die Lehrerin
machte dann der Mutter Vorwürfe. „Zeigen Sie Ihrem Sohn doch mehr Zärtlichkeit.
Umarmen Sie ihn doch einmal.“ Die Mutter ist verzweifelt. Wie gerne würde sie
das doch tun, weil sie ihren Sohn über alles liebt. Doch genau das verträgt ihr
Sohn nicht. Eine Umarmung löst bei ihm eine Reizüberflutung aus, die er nicht
verarbeiten kann.
Ein anderes Kind: Es findet
Gulli-Deckel
einfach toll. Es läuft dorthin, darf und sollte es aber nicht, weil es
gefährlich ist. Kann er es nicht tun, schreit es ständig. Die Reaktion der
umstehenden Frauen und Männer: „Kann diese Frau ihr Kind nicht einmal anständig
erziehen?“ Eltern sind Vorwürfen ausgesetzt – für etwas, für das sie nichts
können. Sie leiden an dem Unverständnis.
Jacobs und Schick vom Kompetenzzentrum wünschen sich ein
realistischeres Bild von Menschen mit Autismus in der Öffentlichkeit. „Wir
erleben immer wieder, dass das Bild des sogenannten Asperger
High-Function-Autisten
mit der singulären Sonderbegabung
die problematischeren Fälle völlig überdeckt.“ Dieses schiefe Bild mache es
Betroffenen, aber auch Angehörigen nicht einfacher. Viele frühkindliche
Autisten hätten zum Beispiel
komorbide
Störungen,
d.h. Begleiterkrankungen wie Epilepsie, das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADS)
oder die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Zudem könnte
ein fragiles (zerbrechliches) x-Chromosom vorliegen. Immer wieder träten auch
Depressionen auf. Kinder mit Autismus tun sich wegen ihrer Sprach- und
Kommunikationsschwierigkeiten schwer beim Lernen. Sie können oftmals nur mit
speziell für Autisten entwickelten Methoden motiviert und angeleitet werden.
Und selbst Asperger-Autisten, die für den Außenstehenden
zunächst einmal nicht als solche erscheinen, „tun sich alles andere als
einfach, ihren Arbeitsalltag zu bewältigen“, so Schick. Ihr Erregungspegel sei häufig
wegen der für Autisten typischen schlechten Reizverarbeitung sehr hoch. „So
kommen sie sehr schnell in Überlastungssituationen.“
Jacobs erzählt von einem Mann, dem Höflichkeitsformen fremd
zu sein scheinen. Der Grund: er empfindet sie als Zeitverschwendung. Sie sind
sinnlos in seinen Augen. Zudem hat er eine Wahrnehmungsstörung. Selbst
langjährige Arbeitskollegen erkennt er nicht immer. So wirkt er auf andere
Personen in seinem sozialen Umfeld unersichtlich unverschämt und arrogant. Er
selbst aber findet sein Verhalten völlig normal und korrekt. Und auf keinen
Fall wolle er jemandem weh tun.
„Es ist wirklich nicht einfach, den richtigen Zugang in der
Kommunikation mit Autisten zu finden“, so Schick. Ein junges Paar war bei ihr
in der Beratung, erzählt sie. Frau und Mann vermuteten selbst, dass er Autismus
habe. Sie hatten bereits zuvor andere Beratungsstellen wie zum Beispiel die
Eheberatung aufgesucht, aber sich eigentlich nie richtig verstanden gefühlt.
„Wenn die Berater zu wenig über Autismus wissen und keinerlei Erfahrung im
Umgang mit Menschen mit Autismus haben, kann das sehr problematisch sein“, so Schick.
Es bestehe nämlich die Gefahr, dass Autisten Fragen nicht richtig verstehen
oder sich nicht in entsprechend mitteilen können. Autistische Menschen hätten
Probleme, unkonkrete und zu offene Fragestellungen zu verstehen. Auch das
Gesprächstempo müssen diesen Menschen zumeist angepasst werden. „Darauf muss
man sich bei Menschen mit Autismus bei der Beratung einstellen“, sagt Schick.
Info und Kontakt:
Das Kompetenzzentrum Autismus Schwaben-Nord bietet nicht nur
Betroffenen Beratung und Hilfe an, sondern auch Angehörigen, Freunden und
Arbeitgebern. Auch begleitet es Betroffene zu Fachstellen an, beispielsweise zu
Ämtern und Behörden. Angehörigen und
MitarbeiterInnen
der verschiedenen Fachstellen werden Informationen und Aufklärung über das Behinderungsbild
und die Unterstützungsmöglichkeiten angeboten.
Kompetenzzentrum Autismus
Schwaben - Nord
Träger: Caritasverband für die Diözese Augsburg e.V.
Auf dem
Kreuz 41
86152 Augsburg
E-Mail
autismus@caritas-augsburg.de
Sonja Jacobs
Telefon
0821 3156-490
E-Mail
s.jacobs@caritas-augsburg.de
Irene Schick
Telefon 0821 3156-489
E-Mail
i.schick@caritas-augsburg.de