Haltung bewahren! - Ein Erfahrungsbericht aus dem Alltag
Ein Betreuer befindet sich in seiner Arbeit häufig in einem Netz von Hilfesystemen und verschiedensten Personengruppen, die alle aufgrund ihrer persönlichen oder beruflichen Verbindung zum Betreuten auch die unterschiedlichsten Anforderungen an den Betreuer stellen. Für viele von uns gestaltet sich so die Aufgabe zum Wohl und nach den Wünschen des Betreuten zu entscheiden und zu handeln, oft als eine Zerreißprobe für Nerven und Gewissen.
Ich möchte Ihnen heute eine kurze Geschichte von zwei ehrenamtlichen Betreuerinnen erzählen, die mich sehr beeindruckt hat. Sie zeigte mir deutlich, wie schwer es manchmal ist, eine Entscheidung nach dem Wunsch des Betreuten zu treffen und durchzusetzen. Besonders entgegen aller Widerstände und manchmal auch entgegen der eigenen Überzeugung/Einstellung.
Es handelt sich um zwei ehrenamtliche Damen, die schon sehr lange vom Betreuungsverein Neuburg unterstützt werden und ausgebildet wurden. Sie bekamen die gesetzliche Betreuung für eine 90jährige Dame als Ehrenamt von einer Vereinsbetreuerin übertragen. Die eine war zur gesetzl. Betreuerin der 90jährigen Dame bestellt worden und die andere hat sie im Rahmen der Alltagsbegleitung und ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit im Seniorenheim unterstützt.
Die Betreute war eine wirklich feine und beeindruckende Person und ich durfte sie noch kennen lernen. Es handelte sich hier um eine sehr elegante und eloquente Dame, die als Primaballerina im früheren Leben tätig war. Sie war nach einigen privaten Problemen nun seit Jahren in einem Seniorenheim wohnhaft, leicht dementiell und lebte dort sehr zufrieden. Ein wenig Vermögen war vorhanden. Privatversichert. Ein Sohn der weit weg lebte und zu dem die Beziehung immer wieder angespannt war.
Die Betreute kam eines Tages mit extremen Bauchschmerzen und einem sehr aufgeblähten Bauch in die örtliche Klinik. Die Ärzte diagnostizierten einen Handball-großen Tumor im Bauchraum und rieten sofort und dringend zu einer OP. Es bestünde akute Lebensgefahr.
Die Betreuerin und die Alltagsbegleiterin sprachen mit der 90jährigen ausführlich über diesen Behandlungsvorschlag, sie lehnte die OP aber ab, mit der Begründung "Ich möchte keine OP und keine Chemo in meinem Alter mehr. Wissen sie, ich hatte ein schönes Leben, besonders jetzt in den letzten Jahren nochmal. Wenn ich sterben muss, dann ist das nun völlig in Ordnung. Ich habe damit kein Problem."
Nun begann die Zerreißprobe für die Nerven. Die Ärzte konnten und wollten diese Entscheidung nicht akzeptieren. Die Betreuerinnen wurden mehrfach, auch durch den Chefarzt, auf ihre Aufgabe und Pflicht hingewiesen. Sie sollten nach ärztlicher Meinung auch gegen den Willen der Dame in die OP einwilligen, die wäre ja durch die Betreuung offensichtlich nicht mehr entscheidungsfähig. Auch die beiden Damen kämpften mit sich und ihrer Sorge um die 90jährige. Fragen kamen auf: - kann ich das mit mir und meiner Überzeugung zum Leben vereinbaren, was habe ich für rechtliche Aufgaben hier, inwieweit ist die Betreute entscheidungsfähig und kann sie es wirklich abschätzen usw.
Letztendlich haben sich die beiden entschieden, den Wunsch der Betreuten entgegen aller Ärzte durchzusetzen. Sie waren überzeugt, die Dame weiß genau was sie erwartet und was sie hier tut. Sie waren entsetzt, wie groß der Druck der Ärzte auf sie war und wie wenig respektvoll mit der Betreuten gesprochen und auch umgegangen wurde und dies nur, weil sie unter Betreuung stand.
Sie verlangten letztendlich aber von den Ärzten einen alternativen Behandlungsplan. Schließlich willigten die Ärzte ein und siehe da, es gab eine relativ einfache Alternative zur OP um die akute Lebensgefahr abzuwenden.
Die 90jährige konnte nach kurzer Zeit das Krankenhaus wieder verlassen. Eine Schmerztherapie und die Umstellung der Ernährung halfen ihr noch Monate gut zu leben. Sie starb als Palliativpatientin viele Monate später.
Diese Geschichte erzählten die Betreuerinnen uns im Rahmen der regelmäßigen Treffen unserer
Das Diagramm zeigt die Einflussfaktoren, die auf einen Betreuten einwirken können.
ehrenamtlichen Betreuer. Sichtlich belastete und wühlte sie die Geschichte immer noch auf. Gleichzeitig waren sie aber auch erleichtert und sehr stolz, dass sie der 90jährigen zu ihrem Wunsch und Willen verholfen hatten und ihr so noch viele schöne Monate gemeinsam gegönnt waren.
Ich denke wir alle kennen das nur zu gut in unserer Tätigkeit. Das Spannungsfeld Erwartungen von außen, rechtliche Unsicherheit, rechtlich begrenzte Möglichkeiten mit unseren Entscheidungen und Aufgaben zu verbinden ist nicht immer leicht. Der Nachbar sagt: so kann man den doch nicht leben lassen, die Angehörigen fordern: der muss doch seine Medikamente nehmen, der Hausarzt fordert: den müssen sie doch entmündigen und ihn einweisen; der Pflegedienst kündigt und vieles mehr. Wir können nicht alle Probleme lösen und es nicht jedem recht machen.
Bleiben Sie gelassen, sprechen Sie mit anderen Betreuern, holen Sie sich Zweitmeinungen ein, sprechen Sie mit ihrem Betreuungsverein, mit dem Rechtspfleger oder Richter. Der Betreute, dessen Wünsche und Wille stehen im Mittelpunkt. Wir sind dafür da diese auch geltend zu machen, was manchmal nicht immer einfach ist. Haltung bewahren!