Fallgeschichte: „Mit mir, nicht über mich“
Herr M. war 68 Jahre alt, als er eine rechtliche Betreuerin bekam. Der ehemalige Handwerker lebte allein in seiner kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung. Nach einem Schlaganfall war vieles schwieriger geworden: Treppensteigen, das Sortieren von Unterlagen, das Merken von Terminen. Dazu kam, dass er sich seit Jahren schwer damit tat, Briefe von Ämtern überhaupt zu öffnen - "die wollen doch eh nur Geld", sagte er oft.
Als er erfuhr, dass eine Betreuung eingerichtet werden sollte, war er misstrauisch. "Ich will keinen
Wenn im Alter das Lesen schwerer fällt...thommyweiss_pixelio
Fremden, der mir sagt, was ich darf und was nicht", erklärte er beim ersten Treffen. Seine neue Betreuerin nahm das ernst. Sie setzte sich an seinen Küchentisch, hörte ihm zu und fragte erst einmal nicht nach Akten oder Unterlagen. Stattdessen kamen sie ins Gespräch über seinen früheren Beruf und seine Leidenschaft für den Fußballverein aus der Nachbarschaft. Herr M. merkte: da sitzt jemand, der ihn als Person wahrnimmt - nicht nur als "Fall".
Statt ihn zu überreden, alle Briefe sofort durchzugehen, schlug sie einen kleinen Schritt vor: "Wie wäre es, wenn wir einen einzigen Brief gemeinsam öffnen - den, den Sie selbst aussuchen?" Herr M. zögerte, nickte dann aber. Gemeinsam lasen sie ein Schreiben des Vermieters. Die Betreuerin erklärte in einfachen Worten, was darinstand: Mietrückstände, Kündigungsandrohung. Herr M. wurde blass, aber diesmal war er nicht allein.
In den nächsten Tagen telefonierte die Betreuerin mit der Vermieterin, beantragte gemeinsam mit Herrn M. Wohngeld und erarbeitete einen Zahlungsplan. Sie erklärte jeden Schritt, bevor sie etwas tat, und ließ Herrn M. unterschreiben, wenn er einverstanden war.
Einige Wochen später kam der erlösende Brief: Die Wohnung war gesichert. Herr M. las ihn diesmal selbst, mit zitternden Händen, und legte ihn dann auf den Tisch. "Wissen Sie", sagte er langsam, "ich habe das Gefühl, Sie machen das mit mir, nicht über mich. Das ist ein Unterschied."
Von da an war das Eis gebrochen. Das Vertrauen war da - und mit ihm die Bereitschaft, auch andere Dinge anzupacken wie zum Beispiel den Antrag auf Pflegeleistungen.
Diese Geschichte zeigt, wie eine gelingende Betreuung oft nicht durch "große Taten" entsteht, sondern durch Geduld, Zuhören und den Respekt vor der Selbstbestimmung des Betreuten.