Schwabmünchen, 25.07.2018 (pca). Selbstsicherheit, Selbstbewusstsein, Gelassenheit in Stresssituationen, aber auch Angst, Furcht, Schmerz oder Alleinsein – wie man damit umgehen kann, das lernt man schon in seiner Kindheit. Da fängt nämlich die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit an. Einen entscheidenden Anteil an dieser Entwicklung haben die Eltern.
Wenn Kinder die Welt erforschen wollen, erleben sie Neues, dabei aber auch Gefühle der Unsicherheit, Angst und Überforderung oder Schmerz. Stehen die Eltern als sicherer Hafen bereit, zu dem die Kinder zurückkehren und ihre Gefühle zeigen können, lernen die Kinder, was ihre Gefühle ihnen sagen und was sie bedeuten. Kinder brauchen diese Bindung, um sich auch in emotional belastenden Situationen sicher fühlen können. Und Kinder brauchen Eltern, die ihren Gefühlen Namen geben und die ihre Kinder beruhigen, trösten und versorgen, aber auch liebevolle Grenzen setzen. Das Kind baut sich so sein Stresstoleranzfenster aus und kann damit lernen immer besser mit belastenden Situationen umzugehen und es lernt mit der Zeit sich selbst zu beruhigen und zu trösten. „Wenn ich als Kind gut getragen werde, übernehme ich eine ausgewogene Einstellung zur Welt, die ich dort erfahren habe. Wenn ich nicht getragen werde oder gar traumatische Erlebnisse erlitt, kann ich nur schwer zum Ausgleich kommen. Ich kann schlechter mit Wut, Trauer und Schmerz umgehen.“ So Sebastian Müller. Er ist Suchttherapeut bei der Suchtfachambulanz der Caritas in Schwabmünchen. Sie hatte zu einem Gruppentreffen von Klienten und Kolleginnen und Kollegen der Caritas eingeladen.
Warum sich der Suchttherapeut mit der emotionalen Entwicklung von Kindern auseinandersetzt, hat einen Grund. Suchterkrankungen werden heute auch auf einen falschen Umgang mit emotionalen Belastungen in der Kindheit zurückgeführt. Bewiesen wurde inzwischen, dass wenn die Eltern auf Belastungssituationen für ihr Kind dauerhaft ungemessen reagieren, weil sie selbst beispielsweise traumatisiert, depressiv oder suchtkrank sind, bleibt das Kind in einer schwierigen emotionalen Situation, in einer „Stress-Hochphase“ hängen und kann sich nicht beruhigen lernen. „Wenn in dieser Situation niemand da ist, der mir hilft, ergibt es für das Kind keinen Sinn, Gefühle auszudrücken und sie akzeptieren zu lernen“, so Müller. „Die Gefühle des Kindes werden abgespalten. Und es kann nicht lernen von sich selbst aus der Stress-Hochphase wieder herunterfahren.“
Wird dann später in Hochstresssituationen, so die Forschungen, zum Alkohol gegriffen um den Stress abzubauen, kann sich eine Abhängigkeit entwickeln. Der Alkohol könne so zum „vermeintlich verlässlichen Partner für die Bewältigung von Belastungssituationen werden“. Ein wichtiger Ansatz in der Suchttherapie ist es deshalb, wieder zu lernen, dass Gefühle wie Stress, Angst, Traurigkeit oder Schmerz ganz normal sind. „Die müssen erst einmal gar nicht weggehen“, so Müller. Aber Betroffene sollten lernen, mit sich selbst achtsam zu sein, auf ihre Gefühle zu achten, auf sie zu hören und sie da sein zu lassen. „Ich muss lernen, mich mit meinen Gefühlen zu akzeptieren.“ Wer das nicht tut und auch nie von anderer Seite Bestätigung und Wertschätzung erfährt, „bei dem herrscht das Gefühl vor, „ich bin nicht okay, so wie ich bin“. Das führe zu einer hohen Belastungssituation, die dann mit dem Alkohol bekämpft werde.
Gefühle in Hochstresssituationen zu regulieren, das ließe sich nicht nur mit dem Verstand regeln. Der Verstand sitze nämlich an einem anderen Ort im Gehirn als Gefühlserinnerungen. Ein neuerer Ansatz der Suchttherapie liegt deshalb in der „inneren Kindarbeit“. In einer Stresshochphase rebelliere nämlich letztlich das „innere Kind“, das nicht gelernt hatte, seine Gefühle zu regulieren. Alte Schemata werden aktiviert. Müller versucht deshalb im Gespräch mit suchtkranken Klienten, ihnen dabei zu helfen, in ihr inneres Kind hineinzublicken, sich selbst auf einer „inneren Bühne zu begeben und zu schauen, was er jetzt bräuchte, was ihm vielleicht als Kind fehlte“. So könne sich ein Klient Fähigkeiten aneignen, wie er in Stress-Hochphasen sich selbst wieder runterfahren könnte. „Es ist nicht einfach, das zu lernen“, sagte der Suchttherapeut. „Aber man kann es.“ Ein Klient Mitte 40 erzählt bei dem Gruppentreffen, dass es für ihn gut gewesen sein, sich seinem inneren Kind zu stellen und ihm zu begegnen und sich so seinen Gefühlen zu stellen. Sein Fazit: „ich war überrascht, wie gut das funktioniert.“